Talent Management ist seit geraumer Zeit der Dreh- und Angelpunkt moderner Personalpolitik. Kein Beteiligter, der etwas auf sich hält, kommt darum herum. Und dennoch, trotz tausendfacher Nennung in zweifelhaften und fabelhaften Artikeln, in Büchern und auf Blogs, trotz Job-Titeln wie z.B. Talent Manager, Talent Scout und Talent Expert geht der Grundgedanke verloren.
Fast zwei Jahrzehnte nachdem sich Helen Handfield-Jones, Ed Michaels und Beth Axelrod aufmachten die Welt des Personalmanagements zu verändern, sind die ersten Anzeichen von Resignation nicht zu übersehen. Doch wie kam es dazu? Was hat aus einer wirklich guten Idee einen hohlen Apfel gemacht, an dem schon seit langer Zeit der Wurm nagt? Sicherlich haben hierzu mehrere Tatsachen geführt, aber worin liegt der Kern bzw. die Wurzel allen Übels?
War for Talents – der Kampf um Fachkräfte
Angefangen hatte alles ganz beschaulich, als Mitte der 2000er ein neuer „War for Talents“ sich ausbreitete. Einige Unternehmen klagten über Schwierigkeiten geeignete Fachkräfte für bestimmte Positionen zu finden. Ingenieure wurden selten. Man hörte von entfernten Bekannten, dass Ingenieure überall gesucht werden.
Allmählich wurde das Flüstern lauter und plötzlich hieß es nur noch „wo sind die Ingenieure – wir brauchen mehr Ingenieure!“ Ein erster Hype entwickelte sich. Ein erstes Feuer entbrannte. Unternehmen lieferten den Zündstoff und die Presse stürzte sich auf das gefundene Fressen. Mütter rieten ihren Kindern den Ingenieursberuf zu wählen: „Der ist sicher, das sagen sie doch stets.“ Danach kamen die Informatikberufe, dann wieder die Ingenieure, zwischenzeitlich zogen die Lehrer und Sozialpädagogen nach. Und irgendwann, als jeder den Überblick verloren hatte, waren plötzlich alles Mangelberufe. Daraus resultierte natürlich, dass nahezu alle Talente wurden – auch die Menschen mit bescheidener Begabung. Erst war die Freude unter den Arbeitnehmern und Studenten groß, sie waren vermeintlich begabt, vermeintlich begehrt. Allerdings sollte das Bild nicht für immer halten. Denn wer Talent ist, der sollte leisten, der musste Inhalte liefern – welches Talent würde sich dem erwehren wollen? Spannungen setzten ein, Schweiß rann den Talenten auf die Stirn. Dann kamen die ersten Burn-Out-Fälle, sicherlich auch aus anderen Gründen. Dennoch, was da betrieben wurde und wird ist eine Materialschlacht – das Problem: das Material sind Menschen. Ja, die menschliche Ressource. Häufig bemüht und gepriesen. Selten gepflegt und behütet. Und was wurde aus dem Talent Management – der guten Idee? Sie wurde fast nahtlos in die Personalentwicklung integriert. Dabei hat und hatte Talent Management nur bedingt etwas mit Personalentwicklung zu tun. Der wesentliche Unterschied ist, dass die Personalentwicklung mit ihrer großen Reichweite mit jedem Mitarbeiter in Berührung kommt oder zumindest kommen sollte. Hingegen zielt das Talent Management auf eine kleinere Gruppe von überdurchschnittlich talentierten Individuen ab, die auf eine der wenigen Schlüsselpositionen gebracht werden sollen. Dadurch ergibt sich eine horizontale und vertikale Verschiebung.
Personalentwickung – Talente suchen und finden
Personalentwicklung befasst sich hingegen mit der Weiterentwicklung von Mitarbeitern. Es besteht dementsprechend ein eng abgegrenztes Aufgabenspektrum, in der sich eine große Anspruchsgruppe wiederfindet. Fast umgekehrt lässt sich dies beim Talent Management finden. Hier wird eine sehr kleine Gruppe angesprochen, die durch vielfältige Aufgaben betreut wird. Dass diese Betreuung nicht immer mit dem Wissen der Talente stattfindet, schadet dabei nicht, maßgeblich bleibt die Zielsetzung. Aber was ist eigentlich die zielgerichtete Betreuung von Talenten, was ist das Fundament, was die eigentliche Tätigkeit des Talent Managers? Hier gilt eine einfache und durchschlagende Formel: „Talente sind zu finden, zu binden und auf die richtige Position zu entwickeln“.
Der Bezug zur Personalentwicklung wird hierbei all zu deutlich. Allein das Wort „entwickeln“ mag in diesem Zusammenhang so viel Schaden verursacht haben, dass eine ganze Generation gar nicht mehr weiß, ob sie ein Talent sein möchte. Doch beginnen wir am Anfang unserer Formel. „Talente sind zu finden“ – klingt nach einer einfachen Aufgabe. Recruiter aus aller Welt werden sagen: „Ja, das ist mein tägliches Geschäft“. Die Antwort lautet jedoch: „Nein, das ist es nicht.“ Wie sollte sonst eine Mehrzahl von Recruitern behaupten können, dass sie nach Talenten suchen, wenn Talente nur einen kleinen Personenkreis darstellen, der niemals für alle genug Arbeit bieten könnte? Die Antwort darauf überlassen wir den Recruitern. Festzuhalten bleibt, wollen Talente gefunden werden, so gibt es zwei Möglichkeiten dafür: der externe und der interne Weg. Nicht selten vergessen kleine wie große Unternehmen eine dieser Möglichkeiten und geben am liebsten direkt die Verantwortung einzelner Prozessschritte an Dritte ab. Ob und in welchem Umfang die Sinnhaftigkeit gewährleistet ist, bleibt dabei außen vor. Zu schwierig scheint die Materie des Findens von Talenten zu sein und zu groß das Angebot von „professionellen“ Talent Scouts.
Die Arbeit am Menschen
Ist ein Talent gefunden, sollte es am besten an das Unternehmen gebunden werden. Dass hierzu nicht ein überdurchschnittliches Gehalt ausreicht, haben im Laufe der Zeit die meisten Verantwortlichen verstanden (die Aussage „die meisten“ ist hier als Positivismus zu verstehen, häufig genug ist dies nur oberflächlich in der Praxis verankert!). Aber wie binden wir Talente, wenn nicht mit Geld? Nun, das ist eine grundsätzliche Frage, die eigentlich einem durchaus tiefgründigen Hintergrund folgt, denn es ist die Frage nach dem „Warum?“. Warum tun Menschen Dinge, wenn wir sie nicht mit Geld dazu verleiten? Motivationstheoretiker aufgehorcht! Nein, wir werden an dieser Stelle nicht anfangen Malsow und seine Pyramide oder Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie zu erläutern, obwohl das Wissen darum nie schaden kann. Vielmehr wollen wir auf etwas Elementares, und zwar der Personalarbeit zu sprechen kommen – der Arbeit am Menschen. Theorien und Konzepte mögen häufig für eine große Anzahl von Menschen gute Erklärungen liefern, einzig im Einzelfall müssen sie meist an ihre Grenzen gehen. Denn keine Theorie, keine Hypothese und kein Konzept kann die Komplexität der Realität gänzlich durchdringen. Da wir uns aber im Talent Management nur mit Einzelfällen auseinandersetzen, ob im kleinen oder internationalen Unternehmen, wird hier eben die Arbeit am Menschen in den Vordergrund gerückt. Deswegen ist es wichtig, dass wir auf jeden Menschen separat eingehen und keine groß angelegten Maßnahmenkataloge verfolgen. Und nebenbei gesagt: Sollte ein Talent nahtlos in eine „Massenverarbeitung“ passen, so ist der Status des Talentes selbst in Frage zu stellen.
Das führt uns zum letzten Teil unserer vereinfachten Formel – die Entwicklung. Wie bereits erwähnt, führte diese Formulierung in einem beträchtlichen Maße zum Untergang des Talent Managements. Grund hierfür ist die einfache Annahme, dass Entwicklung gleich Entwicklung sei. Allerdings lassen sich hier gewaltige Unterschiede finden, falls man Willens ist, diese auch wahrzunehmen. Während in der Personalentwicklung eine allgemeine, umfängliche Entwicklung aller Mitarbeiter zum Erhalt der Befähigung ihrer Arbeit vermittelt wird, ist das Ziel innerhalb des Talent Managements ein gänzlich anderes. Hier wird die Entwicklung auf eine noch nicht erworbene Arbeit zentriert. Mithin steht nicht der Erhalt der Befähigung, sondern der Erwerb von neuen Fähigkeiten unter Ausnutzung des bestehenden Potenzials im Vordergrund. Zwar lässt sich dem entgegenhalten, dass dies ebenfalls in der Personalentwicklung vorkommt, jedoch eben im weitaus geringeren Maße bei durchaus geringerer Intensität.
Befreiung aus dem Strudel des Untergangs
Letztlich bleibt Talent Management kein Hexenwerk, das bei richtigem Umgang für alle Beteiligten einen Mehrwert bringen kann. Ob es tatsächlich dem Untergang geweiht ist, bleibt Personalverantwortlichen überlassen. Entscheiden sie sich dagegen, müssten sie jedoch beginnen die eigentliche Idee wiederzufinden und ein echtes Talent Management zu betreiben. Genau hierin liegt die Aufgabe von Personalern und Führungskräften! Vor allem der Personalbereich ist aufgerufen, sich die Hoheit über das Thema von zweifelhaften Personal-Recruitern zurückzuholen, um nicht weiter einem irrwitzigen Bild des Talent Managements zu folgen. Ganz gleich, ob selbstständig, mit Hilfe von Beratern oder geeigneten Softwarelösungen: Der Zeitpunkt ist gekommen, um mit zielorientierten Maßnahmen das Talent Management aus dem Strudel des Untergangs zu befreien!
Autor: Andreas Puchinger
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